Bundespatentgericht erklärt VFAT-Patent erneut für nichtig

von: Stefan Labesius

Bereits Anfang Dezember des vergangenen Jahres hatte das Bundespatentgericht erneut über den Bestand des europäischen Patents EP 0 618 540 in Deutschland entschieden (BPatG, Urt. v. 5. Dezember 2013 – 2 Ni 9/12 (EP)) und das Patent wiederum für nichtig erklärt. Die durch das Patent geschützte Erfindung beschreibt ein Verfahren bzw. ein System, das lange – d. h. aus mehr als elf Stellen bestehende – Dateinamen unterstützt, wobei, das beanspruchte Verfahren bzw. System auch weiterhin kurze Dateinamen verwalten können soll, d. h. kompatibel mit solchen Betriebssystemen sein soll, die nur kurze Dateinamen für eine Datei verwenden können. Entsprechende Verfahren, die Microsoft im damals neuen VFAT-Dateisystem im Betriebssystem Windows 95 implementiert hatte um Dateien, deren Name mehr als acht Stellen umfasste, auffinden zu können, finden heute vor allem noch in Smartphones Verwendung. Nun liegen die Urteilsgründe der Entscheidung vor.

I. Vorgeschichte

Schon im Jahr 2006 wurde das Patent zum ersten Mal durch das BPatG wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit für nichtig erklärt (Urt. v. 26. Oktober 2006 – 2 Ni 2/05 (EU), vgl. Nachricht der Woche v. 5. März 2007). Die damalige Entscheidung des BPatG wurde aber vom Bundesgerichtshof aufgehoben und die Nichtigkeitsklage abgewiesen (BGH, Urt. v. 20. April 2010 – X ZR 27/07, vgl. dazu Nachricht der Woche vom 3. Mai 2010).

Entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung bejahte der BGH aus damaliger Sicht das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit. Denn für den Fachmann lag es schon nicht nahe, dass der Zugriff auf lange Dateinamen mit neuen Nachfolgebetriebssystemen zu MS-DOS, V. 5.0 bei gleichzeitiger Abwärtskompatibilität mit Betriebssystemen bis einschließlich MS-DOS, V. 5.0 durch die Anlage eines ersten und eines zweiten Verzeichniseintrags möglich ist, wenn eine bislang noch nicht belegte Funktion in der FAT-Dateisystemstruktur gefunden und für die Weichenstellung zwischen einem Zugriff über den kurzen oder über den langen Dateinamen genutzt werden kann (BGH, Urt. v. 20. April 2010 – X ZR 27/07, Rn. 49).

Vielmehr bedurfte es – so der BGH – der Erkenntnis, dass die Kompatibilität dadurch realisiert werden kann, wenn neben dem Verzeichniseintrag mit dem kurzen Dateinamen, ein weiterer oder mehrere weitere Verzeichniseinträge für den langen Dateinamen angelegt werden und eine bereits in der FAT-Dateisystemstruktur vorhandene, aber noch nicht belegte Funktion genutzt wird, um Zugriff auf eine Datei mit MS-DOS bis V. 5.0 unter einem kurzen Dateinamen und mit den nachfolgenden neuen Betriebssystemen unter dem langen Dateinamen nehmen zu können. Diese Überlegung hielt der BGH aber aus damaliger Sicht für spekulativ, weil noch nicht feststehen konnte, ob die FAT-Dateisystemstruktur überhaupt eine solche Funktion enthielt (vgl. BGH, Urt. v. 20. April 2010 – X ZR 27/07, Rn. 45).

II. Jüngstes Nichtigkeitsverfahren

Die neuerliche Versagung des Patentschutzes stützt das BPatG nun wiederum auf eine fehlende erfinderischer Tätigkeit. Hierfür gelang es der Nichtigkeitsklägerin neuen Stand der Technik vorzulegen, der im ersten Nichtigkeitsverfahren offenbar noch nicht behandelt worden war. So ist für die erneute Nichtigkeit des Patents ein Posting vom 24. März 1992 auf der Usenet-Newsgroup comp.sys.atari.st.tech zur Behandlung von Verzeichniseintragsstrukturen mit kurzen und langen Dateinamen für das Dateiverwaltungsystem des Atari-Betriebssystems GEMDOS ausschlaggebend.

Die dortige Beschreibung diente bereits 2012 in einem Verfahren von Microsoft gegen Motorola vor der U.S. International Trade Commission (ITC) gestützt auf das parallele U.S-Patent 5,758,352 ("Common name space for long and short filenames") als entgegenstehender Stand der Technik. Im Posting selbst wird im Wesentlichen beschrieben, dass für eine Datei mit langem Dateinamen ein erweiterter GEMDOS Verzeichniseintrag erstellt wird, der aus zwei Standard-GEMDOS-Verzeichniseinträgen aufgebaut ist. Der lange Dateiname wird dann in einem weiteren Schritt auf beide Verzeichniseinträge aufgeteilt.

Damit ist allerdings – nach Auffassung des BPatG – der Gegenstand der Patentansprüche des EP 0 618 540 bei Außerachtlassung von Merkmalen, die zu einer technischen Problemlösung nicht beitragen, durch den Stand der Technik für den Fachmann nahegelegt. Das Gericht folgt dabei dem engeren Beurteilungsmaßstab, den der BGH bereits seit einigen Jahren für das Kriterium der erfinderischen Tätigkeit (vgl. Art. 56 EPÜ, § 4 PatG) im Zusammenhang mit computerbezogenen Erfindungen zugrunde legt. Danach sind für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nur solche Merkmale zu berücksichtigen, die die Lösung eines technischen Problems, das durch zumindest einen Teilaspekt der zu schützenden Lehre bewältigt wird, mit technischen Mitteln bestimmen oder beeinflussen (BGH, Urteil v. 26. Oktober 2010 – X ZR 47/07 – Wiedergabe topographischer Informationen; vgl. dazu: Nachricht der Woche v. 23. Februar 2013). Im Hinblick auf Computersysteme liegen technische Mittel vor, wenn

Solche technischen Mittel, die einen Beitrag zum relevanten Stand der Technik liefern, vermochte das BPatG in der beanspruchten Erfindung aber nicht zu erkennen. Denn die Unterschiede im streitigen Patentanspruch zum beschriebenen Posting – nämlich der zweite Verzeichniseintrag soll anstelle eines Teils eines langen Dateinamens einen vollständigen Dateinamen enthalten, und die Information für das Vorliegen eines langen Dateinamens soll im zweiten Verzeichniseintrag abgelegt sein – beruhen gerade nicht auf einer Lösung mit technischen Mitteln. Diese Schritte bestehen in einer rein gedanklich logischen Anweisung zum Ordnen von Daten, die zwar gegenüber des im Postings beschriebenen Vorgehens den Zugriffsmechanismus auf den Dateinamen und damit auf die zugehörige Datei ändern, jedoch lediglich Aspekte der reinen Programmierung darstellen. Ihnen liegen aber keine  Erkenntnisse zugrunde, die auf auf technischen Überlegungen beruhen. Damit haben derartige Schritte keine Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln zum Gegenstand, und sind daher bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen.

III. Weiterer Verlauf

Es ist zu erwarten, dass Microsoft gegen die Entscheidung Berufung zum BGH einlegen wird, auch wenn das Patent nach Ablauf der zwanzigjährigen Schutzfrist (vgl. Art. 63 EPÜ) zwischenzeitlich erloschen ist. Denn sofern der Nichtigkeitskläger weiterhin damit rechnen muss, von Patentinhaberin in Deutschland wegen einer Verletzung des Patents in der Vergangenheit in Anspruch genommen zu werden, oder bereits Lizenzzahlungen geleistet hat, besteht auch noch nach Wegfall des Patents ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Nichtigkeit (vgl. BGH, Urt. v. 8. Juli 2010 – Xa ZR 124/07, Rn. 8 – Fälschungsicheres Dokument; BGH, Urt. v. 16.02.1982 – X ZR 78/80).

Nachtrag vom 28. Mai 2017:

Die zwischenzeitlich eingelegte Berufung (BGH Az. X ZR 43/14) wurde im weiteren Verlauf zurückgenommen, so dass die Nichtigkeitsentscheidung des BPatG seit dem 28. Oktober 2015 rechtskräftig ist.
 

Länder: