EuGH entscheidet zu grafischen Benutzeroberflächen

von Prof. Dr. Axel Metzger
 
Es hat fast zwanzig Jahre gedauert, bis sich der Europäische Gerichtshof erstmals zur Computerprogramm-Richtlinie 91/250/EWG (nunmehr 2009/24/EG) geäußert hat. Am 22.12.2010 war es schließlich soweit. Gegenstand des tschechischen Vorlageverfahrens in Sachen Bezpečnostní softwarová asociace – Svaz softwarové ochrany (C-393/09) war die alte Streitfrage, ob grafische Benutzeroberflächen urheberrechtlich als Software geschützt sind.

Die Frage ist seit der Erfindung entsprechender Oberflächen umstritten und hat bereits in den 1990er Jahren in den USA zu einem Rechtsstreit zwischen Apple und Microsoft geführt (Apple v. Microsoft, 35 F.3d 1435, 1994). Der EuGH hat sich nun auf die Seite derjenigen gestellt, die jedenfalls den Rechtsschutz als Computerprogramm ablehnen. Die Benutzeroberfläche stelle "eine Interaktionsschnittstelle" dar, "die eine Kommunikation zwischen dem Computerprogramm und dem Benutzer ermöglicht.  Daher ermöglicht es die grafische Benutzeroberfläche nicht, das Computerprogramm zu vervielfältigen, sondern stellt lediglich ein Element dieses Programms dar, mittels dessen die Benutzer die Funktionen dieses Programms nutzen." (Rdnr. 40 f.). Die Formulierung spielt auf Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie an, welcher ausdrücklich die den Schnittstellen eines Programms zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze vom Rechtsschutz ausnimmt.
 
Auch wenn damit ein Schutz als Computerprogramm nach Ansicht der Kammer ausscheidet, bedeutet dies nicht, dass nicht ein urheberrechtlicher Schutz im Rahmen einer anderen Werkart in Frage komme. Der Leser denkt hier ohne Weiteres an den Schutz als grafisches Werk, der Gerichtshof benennt die andere Werkart jedoch nicht ausdrücklich. Betreten wird hier einer der letzten weißen Flecken auf der europäischen Karte des Urheberrechts. Die Kategorien geschützter Werke und die Voraussetzungen des Schutzes sind jenseits der Bereiche Software, Datenbanken und Fotografien bislang nicht durch Richtlinien harmonisiert. Wird der Gerichtshof gefragt, ob die Wiedergabe eines Werkes eine Verletzung des Urheberrechts im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2001/29/EG darstellt, so muss er inzident die Schutzfähigkeit der übernommenen Werkteile prüfen. So auch in der nun ergangenen Entscheidung. Welche Werkart auch vorliege, geschützt sei dieses Werk nur, wenn es eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers darstelle. Und: Das Kriterium der Originalität könne nicht durch Komponenten der Gestaltung erfüllt werden, die technisch vorgegeben seien. Es zeigen sich also weitere Konturen des gegenwärtig im Wege der Rechtsfortbildung entstehenden europäischen Werkbegriffs.
 
Auch wenn man dies hinnimmt, so ist doch die Lösung des Falls durch den Gerichtshof am Ende unbefriedigend. Ob das Werk als andere Werkart geschützt sei, müsse das nationale Gericht entscheiden. Jedenfalls könne aber das Zeigen der Benutzeroberfläche im Fernsehen keine Verletzung des Rechts der öffentlichen Wiedergabe aus Art. 3 der Richtlinie 2001/29/EG darstellen, weil sie dem Zuschauer nicht die Möglichkeit der Interaktion gewähre: " Wenn jedoch im Rahmen einer Fernsehsendung eine grafische Benutzeroberfläche angezeigt wird, wird diese Oberfläche den Fernsehzuschauern nur passiv wiedergegeben, ohne dass sie die Möglichkeit zum Tätigwerden haben. Sie können die Funktion dieser Benutzeroberfläche nicht nutzen, die darin besteht, eine Interaktion zwischen dem Computerprogramm und dem Benutzer zu ermöglichen. Da die grafische Benutzeroberfläche durch die Fernsehausstrahlung nicht der Öffentlichkeit in dem Sinne zur Verfügung gestellt wird, dass die Personen, aus denen sich diese zusammensetzt, Zugang zu dem wesentlichen Merkmal der Schnittstelle haben, nämlich der Interaktion mit dem Benutzer, erfolgt keine öffentliche Wiedergabe der grafischen Benutzeroberfläche im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29." (Rdnr. 57). Spätestens hier bedauert man, dass der Gerichtshof nicht mehr zur Einordnung der grafischen Benutzeroberfläche sagt. Wäre es ein grafisches Werk, müsste auch das bloße Zurschaustellen für eine öffentliche Wiedergabe genügen. Offenbar stellt sich der Gerichtshof aber eine andere, bislang nicht bekannte Kategorie von Werken vor, die nicht durch den Ausdruck, sondern durch ihre Funktion charakterisiert sind. Das passt denkbar schlecht ins Urheberrecht, welches sonst primär auf die Formgestaltung und gerade nicht auf die Funktion einer Schöpfung abstellt.