Google, GPL und der Mobilfunkmarkt

Von Dr. Till Jaeger
 
Dieser Tage sind zwei Meldungen mit Bezug zum Mobilfunkmarkt aufgefallen, die auch die Lizenzierung unter der GPL betreffen. Für große Aufmerksamkeit sorgte die Nachricht von dem Erwerb von Motorola Mobility durch Google, von geringerer Bedeutung, aber auch in diesem Kontext zu sehen, ist die Behauptung von Florian Müller, Hersteller von Mobiltelefonen mit Android-Betriebssystem könnten von Linux-Entwicklern wegen GPL-Verletzung verklagt werden, wenn in der Vergangenheit einmal ein GPL-widriger Vertrieb eines Produkts erfolgt sei.
 

Der Markt mit Mobilgeräten ist heftig umkämpft, insbesondere im Bereich der Smartphones, die mit der Verknüpfung von herkömmlicher Internettechnik und GPS-Diensten einen neuen Markt eröffnet haben. Die zunehmende Konzentration hat drei Hauptplayer herausgebildet: den technischen Vorreiter Apple, der Hard- und Software herstellt, die Koalition des alten Softwareriesen Microsoft mit dem ehemaligen Marktführer Nokia und Google, das mit dem Linux-basierten Betriebssystem Android zunächst Mobilgerätehersteller wie Samsung und HTC ausgestattet hat und nun mit dem Erwerb von Motorola Mobility selbst einen integrierten Konzern für Software, Hardware und Internetdiensten schaffen möchte.
 
Vor diesem Hintergrund fragt sich, inwiefern die Verwendung des GPL-lizenzierten Betriebssystems Android von Bedeutung ist. So hat etwa die Behauptung von Florian Müller in seinem Blog Aufmerksamkeit erregt, wonach ein Hardware-Hersteller, der Android einsetzt und einmal nicht die Lizenzbedingungen der GPL eingehalten hat, etwa indem der entsprechende Sourcecode nicht angeboten wurde, seine Nutzungsrechte automatisch verloren habe und nur durch eine gesonderte Wiedereinräumung jeden Linux-Rechteinhabers wiedererhalten könne. Daher könne jeder Rechteinhaber zusammen mit einem Anwalt relativ einfach gegen die Hersteller von Android-Geräten vorgehen.
 
Diese Auffassung dürfte jedenfalls unter der Geltung deutschen Rechts kaum zutreffen. Denn es ist zwar richtig, dass ein GPL-Verstoß zu einem automatischen Rechteverlust führt, dies haben auch deutsche Gerichte schon so entschieden (vgl. LG München I, Welte v. Sitecom). Jedoch bedeutet dies nicht, dass für die Wiedererlangung von Nutzungsrechten eine - praktisch kaum durchführbare - explizite Einzelzustimmung der Rechteinhaber erforderlich ist. Denn auch ein Lizenzverletzer kann durch den Neuabschluss der GPL die erforderlichen Nutzungsrechte erwerben, etwa indem Produkte GPL-konform in Vertrieb gebracht werden. Denn die Rechteinhaber bieten weiterhin jedermann die Nutzung ihrer Software unter der GPL an, von einer endgültigen Lizenzbeendigung ist im Lizenztext nicht die Rede. Im Gegenteil: Die Bestimmung in Ziffer 4 Satz 3 GPL, wonach weitere Nutzer in einer Vertriebskette von der Lizenzbeendigung nicht betroffen sind, wenn sie selbst die Lizenzbedingungen einhalten, weist eher darauf hin, dass die "automatic termination"-Klausel auf die Einhaltung der GPL zielt und nicht auf den endgültigen Ausschluss von Verletzern. Kurzum: Es ist nicht zu erkennen, warum ein Lizenzverletzer, der auf den Pfad der Lizenzcompliance zurückkehrt, anders behandelt werden sollte als jeder andere Neuerwerber einer Lizenz. Er besitzt die Möglichkeit zum Abschluss des Lizenzvertrages, indem er das in der GPL verkörperte Vertragsangebot durch konkludentes Handeln annimmt. Ein Zugang der Annahmeerklärung durch Einzelkontaktaufnahme ist dabei nicht erforderlich (vgl. den ifrOSS-GPL-Kommentar, S. 6).
 
Unzutreffend ist insoweit auch der von Müller referenzierte Blog von Edward Naughton, in dem als Beispiel für die beschriebene Rechtsauffassung auf die Lizenzdurchsetzung von gpl-violations.org und Harald Welte verwiesen wird. Denn die von Harald Welte erstrittenen Gerichtsentscheidungen (siehe die Urteilssammlung des ifrOSS) haben stets einen  Urteils-Tenor, der die Nutzung der Software nur dann verbietet, wenn die Lizenzbedingungen der GPL nicht eingehalten werden. Eine dauerhafte Lizenzbeendigung oder explizite Wiedereinräumung von Nutzungsrechten war niemals gefordert.
 
Ob man unter der Geltung des US-Rechts zu einem anderen Ergebnis kommt, soll an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Jedenfalls scheint es kaum mit der Idee Freier Software vereinbar zu sein, einzelne Nutzer von den Freiheiten auszuschließen, die die GPL gewährt, wenn diese bereit sind, sich künftig an die Lizenzbedingungen der GPL zu halten. Eine andere Frage ist es, ob ein Rechteinhaber einem hartnäckig und vorsätzlich handelnden GPL-Verletzer auf der Grundlage der allgemeinen Kündigungsklausel des § 314 BGB dauerhaft die Nutzungsrechte entziehen kann. Dies wird man anhand des Einzelfalls beurteilen müssen.
 
Größere praktische Bedeutung wird aber wohl der Frage zukommen, ob Android auch im Hinblick auf die freie Zugänglichkeit als Alternative zur Apple-Welt etabliert wird. Dies wird wesentlich davon abhängen, ob die Nutzer technisch in der Lage sein werden, eigene Versionen von Android auf ihre Smartphones aufzuspielen und sich damit auch ein Stück weit von der Kontrolle des Android Markets und dem auf der Auswertung persönlicher Daten basierenden Vermarktungssystem von Google zu emanzipieren. Technisch kann ein Wiederaufspielen des Betriebssystem beispielsweise durch die Abfrage einer digitalen Signatur unterbunden werden, was als sog. Tivoization bekannt geworden ist. Umstritten ist dabei, ob die GPL in ihrer Version 2 solche technischen Sperren zulässt. Die FSF ist der Auffassung, dass mangels ausdrücklicher Regelung eine Unterbindung unter der GPLv2 nicht möglich ist und hat daher in der GPLv3 eine entsprechende Schutzregelung eingefügt.
 
Ob diese Rechtsposition richtig ist, erscheint jedoch fraglich. Die GPLv2 macht in ihrer Ziffer 3 deutlich, dass die Pflicht zur Lieferung des "complete corresponding source codes" auch die technischen Mittel zur Installation von modifizierten Programmversionen umfasst. Es ist dort geregelt, dass dem Empfänger der Software die "scripts used to control compilation and installation of the executable" überlassen werden müssen - offensichtlich ist gewollt, dass der Lizenznehmer in die Lage versetzt wird, die Software auf die Hardware aufspielen zu können. Unter der Anwendung deutschen Vertragsrechts wird man daher zu dem Ergebnis kommen müssen, etwa im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung, dass dem Kunden auch unter der GPLv2 die Möglichkeit verschafft werden muss, weiterentwickelte Softwareversionen auf die Ursprungshardware aufzuspielen, sofern dies überhaupt technisch möglich ist. Dass damit etwaige Gewährleistungsansprüche verfallen können, betrifft einen ganz anderen Rechtsaspekt.
 
Dass Hardwarehersteller versuchen könnten, den Zugang zu ihren Geräten zu sperren, auch wenn GPL-Software in der Firmware eingesetzt wird, zeigt der Rechtsstreit um die FritzBox (vgl. Nachricht der Woche vom 20.06.2011), bei der nicht durch technische, sondern durch rechtliche Mittel eine Abschottung erreicht werden soll (der Autor ist als Anwalt in diesen Rechtsstreit involviert). Ob Google dieser Versuchung unterliegt oder ein wirklich freies Betriebssystem unterstützt, wird die Zukunft zeigen. Hier könnten tatsächlich Verbotsansprüche von Inhabern der Rechte am Linux-Kernel relevant werden - oder die Kartellbehörden tätig werden.