von Arne Nordmeyer
Im Zusammenhang mit der Überprüfung und Erneuerung der Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietransfer-Vereinbarungen (VO 772/2004; im Folgenden TT-GVO), welche im April 2014 auslaufen wird, hat die Kommission Ende des vergangenen Jahres eine von Pierre Regibeau und Katharine Rockett erstellte ökonomische Studie mit dem Titel „Assessment of potential anticompetitive conduct in the field of intellectual property rights and assessment of the interplay between competition policy and IPR protection“ vorgelegt, welche sie selbst in Auftrag gegeben hatte. Folgt man den Autoren der Studie, so besteht kein Anlass typische OSS-Lizenzklauseln als kartellrechtswidrig einzuordnen.
Die Kommission selbst hatte sich insbesondere in der Fusionssache Oracle/Sun intensiv mit Freier und Open Source Software einschließlich Copyleft-Lizenzen und kartellrechtlichen Implikationen auseinanderzusetzen (NdW vom 09.11.2009) und wird solche Fragen in der Kontrolle Googles geplanter Übernahme Motorolas (NdW vom 16.08.2011) gewiss erneut thematisieren. Die TT-GVO sowie die zugehörigen Leitlinien enthalten jedoch keinerlei speziellen Ausführungen zu Open Source.
Die jetzt veröffentlichte Studie behandelt Software und deren Besonderheiten ebenfalls kaum und orientiert sich an grundsätzlichen bzw. als immaterialgutübergreifend verstandenen Fragen der (Patent-) Lizenzierung wie pooling, grant back und cross licensing – ebenfalls im Kontext der Fusionskontrolle. Von den ungefähr 100 Seiten wird jedoch auf einer (S. 69 f.) gesondert auf Open Source eingegangen. Insoweit wird sich wiederum auf Patent Pools und Rücklizenzklauseln (grant back) konzentriert. Als Ausgangsbasis für diese Betrachtung werden Josh Lerner und Jean Tirole benannt, welche um das Jahr 2000 mehrere Abhandlungen über die ökonomischen Auswirkungen der Open Source-Software vorlegten.
Bezüglich des Patent Poolings, also der Zusammenführung von Patenten bzw. Patent-Lizenzen, wird ausgeführt, dass sich solche auf Open Source-Gemeinschaften konzentrieren mögen. Da aber die Lizenzen in der Hand dieser in der Regel kostenlos zugänglich seien, seien Gefährdungen des Wettbewerbs kaum zu erkennen; der Wettbewerb werde typischerweise durch Exklusivität und hohe Lizenzgebühren (royalties) angegriffen. Zu untersuchen seien – und insoweit ist die Studie etwas unklar – noch solche Open Source-Gemeinschaften, welche für den Zugang zu ihren Rechten Entgelte verlangen – des Weiteren wird Untersuchungsbedarf bzgl. des Umstandes behauptet, dass Open Source-Projekte nicht nur einmalig Rechte zusammenführen, sondern fortlaufend neue Rechte in solchen gebündelt werden.
Grant Back-Klauseln in Gestalt üblicher Copyleft-Bestimmungen, nach welchen abgeleitete Werke wieder nach Maßgabe der Ursprungslizenz (etwa der GNU GPL v3) lizenziert werden müssen, seien zwar geeignet, die Anreize für Entwickler zu reduzieren, seien aber wiederum notwendig, u.a. um das Hijacking, also die ungewollte Überführung Freier Software in proprietäre, zu verhindern. Des Weiteren sehen die Autoren im Forking ohne weitere Begründung einen nachteiligen Umstand, der durch solche Rücklizenzen unterbunden werden könne. Jedenfalls geschehe all dieses in offenen Gemeinschaften und erlaube dadurch den Zugriff auf Entwicklungsergebnissen zu Gunsten aller, vgl. Nordmeyer, Open Source und Kartellrecht, 1 JIPITEC 19 (2010). Inwieweit solche Coplyleft-Bestimmungen im Fusionskontrollverfahren besonders positiv beurteilt werden können, da durch einfache Lizenzen für jedermann (etwa erneut im Rahmen der GNU GPL) selbst dem übernommenen Rechteinhaber die Kontrolle über seine Software zumindest teilweise abhandengekommen ist – wie es die Kommission in der besagten Oracle/Sun-Entscheidung zu Recht herausgearbeitet hatte –, wird nicht behandelt.
Im Ergebnis, so die Autoren der Studie, sollen die Kartellbehörden „tolerant“ bezüglich der F/OSS-Vereinbarungen sein. Dass die Studie zu Beginn des Reformprozesses, der freilich zu keinen großen Änderungen führen muss, vorgelegt wird, legt die Vermutung nahe, dass die Studie nicht ohne Einfluss auf die Kommissionsansichten sein wird. Sodann ist anzunehmen, dass Softwarespezifika keinen wesentlichen Bestandteil der Reformgedanken ausmachen werden – aber auch, dass hinsichtlich der F/OSS mangels Verstoßes wider Art. 101 Abs. 1 AEUV keine Gruppenfreistellungsverordnung für F/OSS notwendig ist oder aber zumindest mögliche negative Effekte im Wege des Art. 101 Abs. 3 AEUV ausgeglichen werden. Demnach hat F/OSS vermutlich weder von US- noch EU-Kartellrecht – in Gegenwart wie in der Zukunft – etwas zu fürchten.