Von: Benjamin Roger
Das EU-Parlament hat dem Kommissionsentwurf für die geplante "Richtlinie über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums" (IPRED2) am 26. April 2007 mit einigen Änderungen in erster Lesung zugestimmt (vgl. Meldung von heise.de mit einigen Reaktionen). Patente sind nunmehr vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen, was gerade mit Blick auf die noch unklare Situation bei Softwarepatenten (vgl. auch Nachricht der Woche vom 05.03.07) zu begrüßen ist. Einige zentrale Begriffsdefinitionen wurden aufgenommen, insbesondere die der "Gewerbsmäßigkeit", wobei dennoch zweifelhaft bleibt, ob private Nutzer gänzlich von der Strafdrohung ausgenommen sind. Dem kann auch die neue "fair use"-Klausel zu Gunsten bestimmter Nutzerkreise (insb. Forschung und Lehre) nicht abhelfen, die den rein persönlichen Gebrauch gerade nicht nennt.
Auch Anstiftung und Beihilfe bleiben grundsätzlich strafbar, was aus Sicht der Kritiker problematisch ist, weil davon etwa Softwareentwickler oder Distributoren erfasst sein könnten. Zwischen den einzelnen Ausschüssen des Parlaments besonders umstritten ist die geplante "Mitwirkung" der Rechteinhaber an strafrechtlichen Ermittlungsverfahren: der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres hatte diese "Privatisierung der Strafverfolgung " grundsätzlich abgelehnt, das Plenum jedoch stimmte ihr mit geringfügigen Änderungen zu.
Dieser Aspekt des Strafprozessrechts ist vielleicht auch aus deutscher Sicht der bedeutendste: während materiell die geplanten Strafvorschriften weitgehend unter denen bleiben, welche hierzulande jedenfalls im Urheberrecht ohnehin gelten, steht die Einbindung der Verletzten in das Ermittlungsverfahren in krassem Widerspruch zu den geltenden Grundsätzen der Strafprozessordnung.
Hintergrund:
Mit dieser "zweiten Durchsetzungsrichtlinie" sollen den Bestimmungen der "ersten Durchsetzungsrichtlinie" 2004/84 (s. auch Nachricht der Woche vom 03.05.2004 strafrechtliche Vorschriften gegen die gewerbsmäßige, vorsätzliche Verletzung von Rechten an geistigem Eigentum zur Seite gestellt werden; begründet wird dies damit, dass die zivilrechtlichen Maßnahmen keine hinreichend abschreckende Wirkung entfalten würden. Auch das TRIPS-Abkommen der WTO verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Verletzungen der Rechte an geistigem Eigentum unter Strafe zu stellen. Zunächst sollte hierzu ein Rahmenbeschluss ergehen, also eine Maßnahme auf der zwischenstaatlichen Ebene der "dritten Säule", nicht der Europäischen Gemeinschaft - letztere nämlich hat auf dem Gebiet des Strafrechts keine Kompetenzen. In einem Urteil vom 13.09.2005 (Leitsätze) stellte der EuGH dann aber fest, dass die EG dennoch Strafvorschriften erlassen könne, wenn dies erforderlich sei, um im Rahmen ihrer Kompetenzen ein bestimmtes Ziel wirksam zu verfolgen. Die "zweite Durchsetzungsrichtlinie" nun setzt dies erstmals in großem Stil um, was grundsätzliche Bedeutung hat - so dass manche Beobachter nicht ausschließen, dass die Mitgliedsstaaten einen solchen Vorstoß auf einem Kerngebiet nationaler Kompetenz rundheraus ablehnen könnten, wenn der Entwurf demnächst im Rat diskutiert wird.
1. Strafvorschriften
Der Kommissionsentwurf hatte unter anderem deshalb für Unmut gesorgt, weil ihr Anwendungs- und damit der Strafbarkeitsbereich unzureichend bestimmt war. In diesem Sinne hat das Parlament eine Eingrenzung unternommen. Artikel 1 beschränkt nunmehr den Anwendungsbereich auf "Nachahmung und Produktpiraterie" - indes wird keiner dieser beiden Begriffe dann auch definiert. Doch findet sich nun in Artikel 2 eine Definition der "Verletzung in gewerbsmäßigem Umfang", welche nach Artikel 3 für die Strafbarkeit ausschlaggebend ist. Darunter sei zu verstehen "jede zur Erlangung direkter oder indirekter wirtschaftlicher oder kommerzieller Vorteile verübte Verletzung eines Rechts an geistigem Eigentum; Handlungen privater Nutzer für persönliche und nicht gewinnorientierte Zwecke wären hierin nicht enthalten". Auffällig daran ist, dass auch "indirekte" Vorteile genügen sollen - eine sehr vage Umschreibung -, während der Ausschuss für Bürgerrechte, Justiz und Inneres sich für eine Beschränkung auf einen "unmittelbaren kommerziellen Vorteil" ausgesprochen hatte. Welche "indirekten" Zwecke damit in denn Bannkreis der gewerbsmäßigen Verletzung führen, ist noch nicht absehbar. Es ist etwa gemutmaßt worden, dass bereits die Ersparnis von Aufwendungen, etwa durch den Download von Musik im Verhältnis zum Kauf des Tonträgers, einen "indirekten Vorteil" begründen könnte - womit der Anwendungsbereich weit über die "professionellen" Verletzer hinausginge. Ob der eigenartig zaghaft formulierte zweite Halbsatz dem hinreichend Einhalt gebietet, ist zweifelhaft, insbesondere weil "gewinnorientiert" eben auch "indirekt gewinnorientiert" bedeuten kann.
Über den Kreis der Täter hinaus erstreckt sich die Strafbarkeit auch weiterhin auf Anstiftung und Beihilfe; dies war auf Kritik gestoßen, etwa von Seiten der FSFE, denn es sei nicht klar, inwieweit dadurch Softwareentwickler und Provider betroffen seien. Dementsprechend hat das Parlament eine Einschränkung auf Anstiftung und Beihilfe "zur konkreten Tat" vorgenommen. Ein darüber hinaus gehender Vorschlag des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie, nur bei den schwersten Verletzungen auch die Teilnahme unter Strafe zu stellen, wurde nicht übernommen.
Eine Ausnahme von der Strafbarkeit wurde für den "fairen Gebrauch" in bestimmten Bereichen eingeführt (Artikel 3 Abs. 1b) - insbesondere Presse, Schule, und Wissenschaft -, wozu es in der Begründung heißt: "Berufsgruppen wie Journalisten, Wissenschaftler und Lehrer sind keine Kriminellen. Zeitungen, Forschungseinrichtungen und Schulen sind keine kriminellen Vereinigungen". Der rein persönliche Gebrauch, der üblicherweise mit dem Konzept des "fair use" verbunden wird, findet dabei keine Erwähnung.
Wohl in der Absicht, die Richtlinie ausgewogener zu gestalten, hat das Parlament im Sinne eines "Gleichgewichts des Schreckens" auch eine Strafvorschrift (Artikel 6a) gegen Rechteinhaber eingeführt: künftig soll die missbräuchliche Androhung strafrechtlicher Verfolgung ebenfalls unter Strafe stehen.
2. Strafprozessrecht
Insgesamt bleiben die vorgesehenen Strafen eher hinter denen zurück, die hierzulande in §§ 106 ff. UrhG, insbesondere für gewerbsmäßige Taten (§ 108a), vorgesehen sind. Ein grundlegendes Novum aber sind die Vorschriften zum Strafprozess. Artikel 7 bestimmt, dass die Rechteinhaber an den Ermittlungen "gemeinsamer Ermittlungsgruppen" "mitwirken" können. Eine solche, wie auch immer geartete Einbindung in die Ermittlung selbst ist dem deutschen Strafprozessrecht fremd. Im Gegenteil bildet der Amtsermittlungsgrundsatz, wonach die Staatsanwaltschaft von Amts wegen und ausdrücklich auch zur Entlastung des Beschuldigten (§ 160 II StPO) ermittelt, einen der tragenden Grundsätze des Ermittlungsverfahrens, nicht nur in Deutschland. Das hat wohl auch das Parlament bewogen, einen neuen Absatz 1a einzufügen, um die Neutralität (vgl. Erwägungsgrund 8) der Ermittlung zu wahren, was im Folgenden durch den Verweis auf bestimmte grundlegende Rechte der Angeklagten vervollständigt wird. Hier scheint die verbreitete Sorge durch, das Strafrecht werde zu einem Instrument in den Händen der Rechteinhaber pervertiert; es kommt zum Ausdruck, dass die besagte Neutralität gefährdet ist, wenn den Verletzten eine aktive Rolle im Ermittlungsverfahren zuteil wird. Nun hätte diese Erkenntnis auch zu dem Schluss führen können, dass es nicht angebracht sei, den Rechteinhaber in die Strafverfolgung selbst einzubinden. So war auch die Position des Ausschusses für Bürgerrechte, Justiz und Inneres vom 12.12.2006 deutlich: "Das, was als eine Privatisierung der Strafverfolgung zugunsten partikulärer Interessen der Beteiligten erscheinen könnte, ist aus rechtsstaatlichen Gründen prinzipiell abzulehnen. Im demokratischen Rechtsstaat ist dem durch allgemeine Gesetze gebundenen Staat das Gewaltmonopol verliehen. Bürger dürfen Rechtsverletzungen anderer Bürger nicht mit strafprozessualen Maßnahmen verfolgen". Dennoch hielt das Parlament an dem Prinzip der "Mitwirkung" fest, was umso fragwürdiger ist, als die Zuständigkeit der Gemeinschaft für Strafrecht lediglich auf der bereits zitierten Entscheidung des EuGH beruht, wonach die Gemeinschaft strafrechtliche Bestimmungen dort treffen kann, wo dies - innerhalb ihrer Zuständigkeit - eine "unerlässliche Maßnahme darstellt". Zum einen ist dort das Strafprozessrecht nicht ausdrücklich erwähnt, zum anderen ist zweifelhaft, ob die besagte "Mitwirkung" "unerlässlich" ist. Die Kommission begnügt sich in ihrem Entwurf mit dem Hinweis, die Ermittlung von Verletzungen im Bereich des geistigen Eigentums sei "sehr schwer".
Wenn auch das europäische Parlament die geplanten strafrechtlichen Sanktionen enger umrissen hat, bleiben also einige offene Fragen und Bedenken, so dass auch die zahlreichen Kritiker des Vorhabens nicht verstummt sind (s. etwa die Stellungnahme der FFII; auch die FSFE, die sich in einem offenen Brief an die Abgeordneten des europäischen Parlaments gewandt hatte, zeigt sich skeptisch). Es bleibt abzuwarten, wie der Rat und das Parlament, dann in zweiter Lesung, weiter mit dem Vorhaben umgehen werden.