Von RA Olaf Koglin
Letzte Woche wurde bekannt, dass der Quellcode von Microsofts Betriebssystemen Windows NT 4 und Windows 2000 im Internet verfügbar sind. Microsoft bestätigte kurz darauf in einer Pressemitteilung, dass es sich dabei tatsächlich um den originalen Quellcode handelt, im Internet jedoch nicht der vollständige Code erhältlich ist. Das Redmonder Unternehmen führte aus, dass dies für Anwender bislang keine bekannten Auswirkungen habe und man eng mit dem FBI zusammenarbeite, um die Quelle des Quellcodes zu finden.
Die Spur führte über Unix/Linux-typische "core dump"-files schnell zu Mainsoft, einem Spezialisten für Unix-Portierungen. Der langjährige Microsoft-Partner hatte seit 2000 Unix-Portierungen des Internet Explorers und des Windows Media Players angefertigt (vgl. eweek vom 13.02.2004). Auf welchem Weg der drei bzw. ein halbes Jahr alte Code von dort in das Internet kam, ist allerdings noch unklar.
Hintergrund:
Das Geschehen gibt zunächst Anlass, wieder einmal die weitgehend synonymen Begriffe Open Source und Free Software zu beleuchten. Selbstverständlich wurden Windows NT und 2000 durch das Verbreiten des Quellcodes nicht zur Open Source Software. Denn getreu dem Loriot´schen Klassiker "Liberal im liberalen Sinn bedeutet eben nicht nur liberal" heißt "Open Source" nicht lediglich, dass der Source Code offen liegt: "Open Source doesn´t just mean access to the source code" (S. 1 der Open Source Definition). Vielmehr soll jedermann auch die Freiheit haben, das Programm zu bearbeiten, zu vervielfältigen und zu verbreiten. Ist nun der Begriff Free Software der treffendere? Gerade im englischen besteht das dauernde Missverständnis zwischen free als gratis und free als freiheitlich, weshalb die Free Software Foundation, die den Term "Free Software" favorisert, stets hinzufügt, dass Free Software nicht im Sinne von free beer gemeint sei. Beide Begriffe sind also nicht ganz eindeutig.
Der Einblick in den Windows-Quellcode könnte verschiedene Folgen haben: Schon wird spekuliert, ob Programmierer ihren Code in Windows wiederfinden - bislang hatte die proprietäre Softwareindustrie es eher als Sicherheitslücke von Freier Software dargestellt, dass darin urheberrechtswidrig fremde Programme eingearbeitet sein könnten. Andersherum könnte nunmehr Microsoft freien Programmierern vorwerfen, von dem bekannt gewordenen Windows-Quellcode abgeschrieben zu haben (was wiederum ein großer Teil von diesen als absurden Vorschlag ansehen wird). Außerdem kann der Quellcode nun auf neue Sicherheitslücken und vor allem auf die Qualität der von Microsoft vorgenommenen Beseitigungen von früheren Sicherheitslücken untersucht werden. Schließlich können nun die von Microsoft im Rahmen der US-Kartellverfahren getroffenen Aussagen, wonach Windows-Betriebssystem und der Browser Explorer beinahe untrennbar verbunden seien, überprüft werden.