Russische Föderation: Nationaler Standard für Freie Software

von: Stefan Labesius

Bei der Förderung von Freier Software geht die Russische Föderation seit einiger Zeit eigene Wege. So gibt es seit einiger Zeit Überlegungen, Open Source und Open Content Lizenzen im russischen Immaterialgüterrecht stärker zu berücksichtigen (vgl. Nachricht der Woche v. 8. November 2011). Aber auch im Rahmen der technischen Standardisierung wird neuerdings  Freier Software besondere Beachtung geschenkt. So ist bereits mit Wirkung zum 1. Januar 2012 der nationale Standard (GOST R 54593-2011) „Freie Software. Allgemeine Bestimmungen“ („Свободное программное обеспечение. Общие положения“) in Kraft getreten, der im Kern eine eigenständige Definition von Freier Software, die Voraussetzungen für deren Einsatz sowie deren erforderliche Entwicklungsumgebung beschreibt.

1. Definition von Freier Software

Freie Software wird in diesem nationalen Standard zunächst definiert als Software, die unter einer nicht-ausschließlichen Lizenz vertrieben wird, die dem Nutzer die folgenden Befugnisse einräumt (Ziff. 3.6 des Standards):

  • die Nutzung der Software in gesetzmäßiger Weise (vgl. zum Umfang des Nutzungsrechts im russ. Urheberrecht: Art. 1270 ff. ZGB),
  • den Zugang zum Quellcode zu Analyse- und Adaptionszwecken, sowie zur Umarbeitung der Software,
  • die Weiterverbreitung der Software (unentgeltlich oder gegen Zahlung),
  • die Vornahme von Änderungen an der Software und die Weiterverbreitung des geänderten Programms,
  • in bestimmten Fällen die Weiterverbreitung des modifizierten Programms zu den Bedingungen, die identisch sind mit denen, unter denen das Ausgangsprogramm bereitgestellt wurde.

Im Wesentlichen korrespondieren diese Befugnisse mit den anerkannten Kriterien der Open Source Definition (OSD) der Open Source Initiative. Allerdings bestehen auch einige Unklarheiten. So geht aus dem Standard nicht eindeutig hervor, ob ausdrücklich auch die Weiterverbreitung gegen Lizenzgebühr ausgeschlossen ist (vgl. Ziff. 1 OSD). Auch ist nicht konkret geregelt, ob und in welcher Weise der Quellcode zur Verfügung gestellt werden muss (vgl. Ziff. 2 OSD). Zudem werden als mögliche Lizenzen zwar die GPLv3 sowie die BSDL im Standard genannt. Allerdings bleibt aber offen, ob auch andere Lizenzen oder Lizenztypen für eine standardkonforme Lizenzierung möglich sind.

2. Infrastruktur für die Entwicklung und Nutzung

Darüber hinaus werden zusätzlich Anforderungen an eine Infrastruktur für die Entwicklung und Nutzung von Freier Software definiert (vgl. Ziff. 4.2). Eine standardkonforme Infrastruktur muss dabei eine eigenständige bzw. abgetrennte Entwicklungsumgebung sowie andere Tools für eine kollektive Entwicklung umfassen. Des Weiteren muss ein einheitliches Repository für entsprechende Programme einschließlich Quellcode für unterschiedliche Plattformen zur Verfügung gestellt werden. Ebenfalls muss eine derartige Infrastruktur ein System zur Steuerung der jeweiligen Programme, das eine Protokollierung und Verwirklichung der Rechte an deren Nutzung gewährleistet, bereit stellen. Auch soll die Verwendung offener Standards und Spezifikationen gewährleistet werden, d. h. solcher Standards, die öffentlich zugänglich sind, und für deren Nutzung keine Vergütung gezahlt werden muss (vgl. Ziff. 3.12).

3. Hintergründe der Standardisierung

Dass Freie Software einer eigenständigen nationalen Standardisierung unterliegt, dürfte in erster Linie vor dem Hintergrund der Etablierung einer sog. Nationalen Programmplattform (Национальная программная платформа) in der Russischen Föderation zu sehen sein. Diese Plattform soll dabei im Wesentlichen auf Freier Software bzw. proprietärer Software aus heimischer Entwicklung basieren. Grundlage dafür ist das Staatliche Programm der Russischen Föderation "Informationsgesellschaft 2011-2020" (i. d. F. v. 2. Dezember 2011 - N2161-r).

Das staatliche Interesse an der Förderung von Freier und heimischer Software resultiert dabei vor allem aus zwei Erwägungen. So soll zum einen die Abhängigkeit von ausländischen Software- und Plattformanbietern reduziert werden, insbesondere in Bereichen wie Verwaltung, Sicherheit oder Bildung. Zum anderen sollen mit der Förderung des heimischen Softwaresektors auch - gesamtwirtschafltich gesehen - die Ausgaben für Lizenzgebühren ins Ausland mittelfristig begrenzt werden.

Die politische Unterstützung für die Stärkung Freier Software spiegelt sich im Übrigen auch im Entstehungsprozess des Standards wider. Dieser wurde nicht unter Beteiligung der russischen Entwicklergemeinschaft konzipiert (kritisch dazu: Valentin Makarov, Präsident von Russoft, der Russischen Softwareentwickler Vereinigung). Sondern federführend wurde der Text von der Aktiengesellschaft "Konzern Sirius" erarbeitet, die wiederum eine hundertprozentige Tochter des Staatskonzerns "Rostech" ist. Dieser erwarb beispielweise bereits im Jahr 2010 Anteile am Linux-Distributor und -Entwickler „alt linux“.