Von Till Kreutzer
Der amerikanische Musikindustrieverband RIAA läutete im August eine neue Ära des Kampfes gegen angebliche Urheberrechtsverletzungen im Netz ein. Nunmehr soll versucht werden, auch gegen einzelne (aktive) Nutzer von Tauschbörsen vorzugehen. Auf diesem Weg kommen die "Copyright-Gesetzeshüter" allerdings nicht an der Kooperation der Provider vorbei, da allein diese über die benötigten Daten zur Individualisierung einzelner Filesharing-Nutzer verfügen. Nach Ansicht der RIAA haben die amerikanischen Rechtsinhaber einen Anspruch auf Preisgabe derartiger persönlicher Daten aufgrund des Digital Millennium Copyright Act (DMCA, § 512 (h). Dagegen wehrt sich der vom Verband in einer Musterstreitigkeit in Anspruch genommene Provider Verizon. Dort vertritt man die Meinung, dass die genannte Vorschrift des DMCA gegen die US-amerikanische Verfassung, genauer die Freiheit anonymer Meinungsäußerung im Internet, verstoße. Einem im August 2002 angestrengten Rechtsstreit sind inzwischen 12 amerikanische Bürgerrechtsorganisationen, darunter auch die Electronic Frontier Foundation (EFF) beigetreten, die sich für den Schutz der Provider und der Nutzer einsetzen.
Hintergrund:
Auf ihrem Feldzug gegen die individuell unautorisierte (nicht = rechtswidrige!) Nutzung von urheberrechtlich geschützter Musik ist die RIAA bisher aggressiv nur gegen die als Piraten gebranntmarkten Entwickler und Betreiber von Peer-to-Peer-Systemen, wie Napster oder Fast Track vorgegangen. Um den durch das private Kopieren angeblich entstehenden Verlusten nachdrücklich Einhalt zu gebieten, kündigten die Entertainmentverbände jüngst an, auch gegen einzelne User rechtliche Schritte einleiten zu wollen. Die Frage, was man sich von einem solchen Vorgehen angesichts der vielen Millionen aktiver Filesharing-Nutzer außer einer geringen Abschreckungswirkung verspricht, bleibt ungeklärt. Tatsache dürfte sein, dass bei einer abweisenden Gerichtsentscheidung die amerikanischen Nutzer (die einen hohen Prozentsatz aller P2P-Nutzer ausmachen) sicher sein können, von effektiver Verfolgung auch zukünftig unbehelligt zu bleiben.
Das Vorgehen ist zudem von daher zweifelhaft, da die Zusammenhänge zwischen Filesharing und Umsatzrückgängen im Entertainment-Bereich noch immer völligungeklärt zu sein scheinen. Jüngst hat einmal mehr eine Studie des amerikanischen Marktforschungsunternehmens Forrester Research ergeben, dass das Filesharing nicht der Grund für den Einbruch auf dem Musikmarkt sei. Zu einem entsprechenden Ergebnis kam auch die Yankee Group. Zu genau gegenteiligen Ergebnissen kamen diverse andere Studien.
Angesichts der Vielzahl sich in den wesentlichen Erkenntnissen widersprechenden Evaluationsversuchen über die wirtschaftliche Auswirkung solcher Verhaltensweisen, scheint man heute allein statuieren zu können, dass weder empirische Analysen noch wirtschaftliche Prognosen über diese Frage Aufschluss geben können. Dies sollte sich auch bei den Beteiligten bereits herumgesprochen haben. Warum dennoch die Glaubwürdigkeit der Marktforschung in diesem Bereich durch immer neue Untersuchungen strapaziert wird, kann nur gemutmaßt werden. Der Meinungsbildung jedenfalls wird eine solche Vorgehensweise nicht dienen. Es glaubt ohnehin jeder, was er glauben will. Das propagandistische Vorgehen von allen Seiten ist jedoch vor allem deshalb zu kritisieren, da es zu keinem wünschenswerten Ergebnis führt, da es nicht konstruktiv ist. Es führt auf dem Weg zu einer für alle Beteiligten anzustrebenden optimalen Nutzung von Online-Technologien als Distributionsmedien nicht weiter.
Sehr viel konstruktivere Klänge konnten unlängst von Seiten der deutschen Musikindustrie vernommen werden. Diese zeigt sich durchaus nicht blind von der Aussagekraft der Gutachten und Evaluationen und der hierauf durch die Verbände kolportierten Propaganda. So ließ Tim Renner, Chef des größten deutschen Musikkonzerns Universal, bei einem Interview mit dem Spiegel (Heft 33 vom12.08.2002) eine offene Haltung durchblicken. Nicht der digitalen Privatkopie, sondern denen, die mit geklauter Musik Geld verdienten, wolle man durch rechtliche und technische Maßnahmen entgegenwirken. Jeder, der behaupte, eine gebrannte CD sei eine verkaufte CD weniger, "spinnt". Die Marschroute für eine Eroberung des Online-Marktes mit kommerziellen Angeboten, die sich gegen den Wildwuchs der unautorisierten Tauschbörsen durchsetzen können sollen, sieht Rennerin professionellen Angeboten mit Mehrwert. Eine Aussage, die - zumal von solch prominenter Position getätigt - Hoffnung aufkeimen lässt. Hoffnung darüber, dass man sich auf Seiten der Konzerne wieder einer aktiven und konstruktiven Lösung der Online-Frage nähern will. Offen bleibt, wie eine solche Haltung mit den Verlautbarungen und Vorgehensweisen der eigenen Branchenverbände vereinbar sein soll. Muss man davon ausgehen, dass die Lobby in sich elementar uneinig ist?