Microsoft stellt Fragen zur GPL

Von Olaf Koglin

"Einige Fragen zur GNU General Public License (GPL), die sich jedes Unternehmen stellen sollte" - so lautet der Titel eines Word-Dokuments, das Microsoft anlässlich seiner Shared-Source-Lizenzierung herausgegeben hat. Im Stil einer FAQ stellen die Redmonder 24 Fragen zur GPL und zur LGPL. Im Gegensatz zu einer FAQ werden jedoch kaum konkrete Antworten gegeben. Die Antworttexte sollen eher Unsicherheit über die Rechtslage und Sorge vor den ungewissen Folgen der Nutzung von Open-Source-Software vermitteln. So sind die Antworten meist Ansammlungen vager Begriffe wie "möglicherweise" und von Konjunktiven. Trotz aller Unkonkretheiten ist sich Microsoft aber sicher, dass die Folgen - unter welchen Umständen sie auch immer eintreten mögen - "sehr riskant" sein und "dramatische Auswirkungen" haben können.

Interessant ist, dass Microsoft proprietäre mit kommerzieller und Freie mit unkommerzieller Software gleichsetzt. So empfiehlt die Einleitung, "auf kommerziell entwickelte Produkte zu setzen, die auf der Grundlage eines zukunftsfähigen Geschäftsmodells entstehen." Dies darf man durchaus als Werbung für etliche Open-Source-Unternehmen verstehen.

Einzelne Beispiele:
Im Vordergrund steht bei den Fragen das Copyleft, also die Verpflichtung, dass bei der Verbreitung von Bearbeitungen des Open-Source-Programms der Quellcode angeboten werden muss und das bearbeitete Programm wieder der GPL unterliegen muss. Hiermit - und mit der breiten Darstellung von Abgrenzungsfragen, etwa wann ein Programm ein verbundenes Werk darstellt - befassen sich über die Hälfte der Fragen. Konsequent wird statt vom Copyleft von der Ansteckungsgefahr und statt vom Urheberrecht von "Ihren geistigen Eigentumsrechten" (der Leser wird zumeist in der ersten Person angesprochen) geschrieben. Eine auch die Unverbindlichkeit der Antworten verdeutlichende Kostprobe zur Frage, wie "sich Ihre Nutzung von GPL-Software auf Ihre geistigen Eigentumsrechte aus[wirkt]" (Frage 3), lautet: "Eine der bedeutendsten Folgen der GPL ist deren mögliche Auswirkung auf Ihre geistigen Eigentumsrechte. Die GPL wird häufig als "ansteckend" bezeichnet, weil sie versucht, unabhängig von ihr entwickelten Code (und damit verbundenes geistiges Eigentum) den GPL-Bestimmungen zu unterwerfen. (...)" Ob das Copyleft wirksam ist (oder anderenfalls die ganze Sorge vor der "Ansteckung" unbegründet ist), mag Microsoft nicht beantworten. Bei vielen Fragen zum Copyleft scheint Microsoft auch davon auszugehen, dass Open-Source-Software wie Public Domain "Freiwild" ist, das einfach genommen, verändert und unter eine andere Lizenz gestellt werden kann. So heißt es zu Frage 3 weiter, bei der Verbindung von eigenem und GPL-Code könne ein Unternehmen verpflichtet sein, "jedermann kostenlos an seinen wertvollen geistigen Eigentumsrechten an beiden Codes teilhaben zu lassen." Wieso das Unternehmen an beiden Codes, also auch an dem fremden Open-Source-Programm, wertvolle geistige Eigentumsrechte haben soll, weiß wohl nur Microsoft.

Dass das Dokument weniger den informativen Charakter von FAQ hat, als vielmehr eigene Kunden beeinflussen soll, zeigt sich auch daran, dass Microsoft bei eigener Software und bei Open-Source-Programmen mit zweierlei Maß misst: So hebt Microsoft hervor, dass bei Open-Source-Software "selbst eine beschränkte oder relativ unbedeutende Nutzung wie z.B. das Einfügen weniger Zeilen von GPL-Code in ein kommerzielles Produkt" "dramatische Auswirkungen auf Ihre Rechte und Pflichten" haben könne (Frage 2). Im umgekehrten Fall des Einfügens weniger Zeilen von Microsoft-Code in ein anderes Programm würde Microsoft dies wohl kaum als eine "relativ unbedeutende Nutzung" sehen.

In Frage 11 schafft Microsoft Verunsicherung dadurch, dass ein Open-Source-Nutzer nicht sicher sein kann, ob seine vermeintlichen Lizenzgeber wirklich die Inhaber der Urheber- oder Verwertungsrechte sind. Anderenfalls würde die Nutzung der Software die "geistigen Eigentumsrechte Dritter" verletzten. Zwar räumt Microsoft ein, dass dies bei proprietärer Software theoretisch genauso passieren könne. Bei "kommerzieller Software" sei dies Risiko aber viel geringer als bei Open-Source-Software, da "GPL-Entwickler viel eher bereit sein [könnten], Code unter der GPL zu vertreiben, obwohl sie wissen, dass nicht über die dazu erforderlichen Rechte verfügen." Im Gegensatz dazu hätten Hersteller "kommerzieller Software" "Verfahren, vertragliche Verpflichtungen und ein erhebliches finanzielles Interesse daran, das Risiko von Rechtsverletzungen zu minimieren." Hier fragt sich, wie Microsoft dazu kommt, Open-Source-Programmierern Urhebrechtsverletzungen, also Straftaten, zu unterstellen. Bei den bislang bekannt gewordenen Fällen war eher das Gegenteil der Fall: freier Code wurde in proprietären Code "entführt" - und nicht umgekehrt (siehe Nachricht der Woche vom 02.09.2002). Vor allem aber steht dem die Argumentation bei Frage 16 entgegen. Dort geht es darum, dass nach dem Copyleft "Modifizierungen von GPL-Code der "Gemeinschaft" zu überlassen" seien. Aber, so warnt Microsoft, "können Sie sicher sein, dass Ihre Wettbewerber das gleiche tun?" Es wird nicht nur dargestellt, wie einfach Open-Source-Code in proprietärer Software verschleiert werden kann. Vor allem möchte Microsoft die Leser dadurch beunruhigen, dass Konkurrenten sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnten, indem sie das Copyleft missachten und ihre Änderungen nicht freigeben. Verblüffend: Zuvor hatte Microsoft bei "kommerziellen Entwicklern" noch das Interesse zur Minimierung von Rechtsverletzungen betont.

Fazit: Da Microsoft nur für sich in Anspruch nimmt, Fragen zur GPL zu stellen, und nicht, diese zugleich zu beantworten, ist das Fehlen konkreter Antworten durchaus legitim. Auch kann von Microsoft kaum erwartet werden, sämtliche Fragen des Open-Source-Rechts zu lösen. Allerdings haben die "Fragen zur GPL" damit weniger einen Charakter als einen Beitrag zur Information als ein offensichtliches Schüren von Ängsten der Nutzer von Freier Software, die verunsichert werden sollen. So mahnen viele Fragen einfach zu lähmender, teilweise unerfüllbarer Vorsichtigkeit, die aber mit Open-Source-Software nur wenig zu tun hat (Frage 1: Haben Ihre Rechtsberater die Lizenzen gelesen?, Frage 11: Sie sollten prüfen, ob Sie über Kontrollmechanismen verfügen, mit denen Sie sicherstellen können, dass kein unlizenzierter Code und keine unlizenzierten Betriebsgeheimnisse in das Programm einbezogen wurden.). Und immer drängt sich die Gegenfrage auf "Wie ist der gleiche Sachverhalt bei proprietärer Software zu beurteilen?".