DRM, Privatkopie und Open Source Software im neuen französischen Urheberrecht

Von Benjamin Roger
 
Mit gut dreieinhalb Jahren Verspätung hat Frankreich durch das Gesetz vom 1. August 2006 die EU-Urheberrechts-Richtlinie vom 22. Mai 2001 umgesetzt. Ein Kernpunkt der neuen Regelung ist der rechtliche Rahmen für "wirksame technische Schutzmaßnahmen" oder DRM (Digital Rights Management): Diese sind nun, entsprechend den Vorgaben der Richtlinie, gesetzlich geschützt und ihre Umgehung strafbar. Dabei war der französische Gesetzgeber - mehr als der deutsche - darauf bedacht, den Schutzmaßnahmen Schranken zugunsten der Nutzer zu setzen: So ist etwa ausdrücklich vorgesehen, dass durch "technische Schutzmaßnahmen" den Nutzern nicht die Möglichkeit genommen werden darf, Kopien zum privaten Gebrauch anzufertigen (Artikel L.331-8). Darüber hinaus sollen die Hersteller von DRM die "Interoperabilität" gewährleisten (Artikel L.331-7). Gemeint ist damit die Lesbarkeit von technisch geschützten Inhalten unter verschiedenen Plattformen, auch mittels so genannter "offener Standards", also solcher, deren Quellcode öffentlich ist (Artikel 4 des Gesetzes vom 21. Juni 2004). Diese Vorschrift ist gerade auch im Hinblick auf Freie Software wichtig, wobei allerdings eine Ausnahme zugunsten der "Sicherheit und Effektivität von technischen Maßnahmen" Zweifel daran aufkommen lässt, ob sie praktische Bedeutung erlangen wird. Eine explizite Bestimmung zugunsten Freier Software aus dem ersten Entwurf konnte sich letztendlich nicht durchsetzen. Für diese neuen Fragen und sich abzeichnende Konflikte wird eigens eine "Behörde für technische Maßnahmen" (Autorité des mesures techniques) eingerichtet, die sowohl das Gesetz konkretisieren als auch Streitigkeiten zwischen den Parteien entscheiden soll.


Hintergrund:


Interessenausgleich zwischen DRM und Rechten der Nutzer

Die europäische Richtlinie schreibt einen "angemessenen Rechtsschutz gegen die Umgehung wirksamer technische Maßnahmen" vor; dieser kann jedoch eingeschränkt werden durch Ausnahmen zugunsten bestimmter Nutzungen oder Nutzer (beispielsweise Unterricht; behinderte Nutzer). Ferner sieht das Regelwerk die Möglichkeit einer Ausnahme zugunsten von Kopien vor, die ausschliesslich zu privaten Zwecken angefertigt werden.

Gesetzgebungsverfahren

Während im deutschen Urheberrecht das Recht auf Privatkopie zwar in § 53 UrhG vorgesehen ist, aber keine Ausnahme vom rechtlichen Schutz der "technische Schutzmaßnahmen" begründet, hat sich der Gesetzgeber in Frankreich bemüht, dieses Recht auch bei technisch geschützten Inhalten sicherzustellen. Zu diesem Zweck hatte die Nationalversammlung in erster Lesung eine sogenannte "Interoperabilitätsklausel" (Artikel 7 des Entwurfs vom 21.März 2006) beschlossen. Diese sah vor, dass die Hersteller technischer Schutzmaßnahmen die zur "Interoperabilität" nötigen Informationen zur Verfügung stellen. Diese Informationen, so hieß es in der Fassung weiter, seien die technische Beschreibung und die Programmierschnittstellen, die nötig seien, um eine Kopie eines geschützten Werks in einem "offenen Standard" anzufertigen. "Offene Standards" sind im Sinne des Gesetzes vom 21. Juni 2004 solche Protokolle und Formate, die "interoperabel" sind und deren technische Spezifikationen öffentlich sind. Somit wäre es möglich gewesen, ungeschützte Kopien geschützter Werke anzufertigen, um diese in allen technischen Umgebungen (also nicht nur z.B. auf einem iPod, wie bei den iTunes-Downloads der Fall) lesen und nutzen zu können. Die Antwort der DRM-Hersteller liess nicht lange auf sich warten - in diesem Fall in Gestalt von Apple, dessen Sprecherin das Vorhaben als "staatlich geförderte Piraterie" bezeichnete. Als Reaktion auf diese Kritik strich der Senat, die zweite Kammer des Parlaments, in seinem Entwurf vom 10. Mai den betreffenden Passus. Stattdessen sah der neue Text die Schaffung einer Behörde für technische Maßnahmen vor. Diese sollte auf eine einvernehmliche Lösung "hinwirken" oder sie "fördern",so dass die Hersteller von DRM die nötigen Informationen herausgeben. Auch die Definition der "zur Interoperabilität nötigen Informationen" wurde dahingehend abgeändert, dass diese es ermöglichen sollten, eine geschützte Kopie des geschützten Werks anzufertigen. Somit wurde die Verpflichtung einerseits abgemildert, andererseits in ihrem Umfang erheblich reduziert - insbesondere durch den Ausschluss offener Formate, was auch eine Gefährdung für Freie Software bedeutet hätte (s.u.). Dieser Entwurf wiederum stieß unter anderem auf den Vorwurf übermäßiger Bürokratie und war für die Nationalversammlung nicht akzeptabel, so dass der Vermittlungsausschuss (Commission mixte paritaire) angerufen wurde.

Lösung im Vermittlungsausschuss

Dieser verabschiedete einen Entwurf, der schließlich am 30. Juni von Nationalversammlung und Senat gebilligt wurde. Nunmehr umfasst die "Interoperabilitätsklausel" (Artikel 14 des Gesetzes = Artikel L.331-7 des Code de la propriété intellectuelle [CPI, Gesetzbuch über das geistige Eigentum]) "auch" offene Standards ("y compris dans un standard ouvert"), und der Behörde kommt die Aufgabe zu, die "Interoperabilität" zu "garantieren". Dazu werden ihr auch Zwangsmittel an die Hand gegeben, falls ein Hersteller technischer Schutzmaßnahmen seiner Verpflichtung nicht nachkommt. Zu beachten ist allerdings, dass "die Rechte der Parteien" gewahrt sein müssen. Das bedeutet zum einen, dass die Beschränkungen, etwa die Anzahl der zulässigen Kopien, die der Inhaber der Rechte ursprünglich festgelegt hat, gesichert sein müssen. Die entsprechenden Rahmenbedingungen, insbesondere die Mindestzahl der Kopien, werden durch die Behörde festgelegt, Artikel L.331-8. Zum anderen zählt nach der - bindenden - Interpretation des Verfassungsrats zu den "Parteien" auch der Inhaber der Rechte an der technischen Schutzmassnahme selbst - der also in diesem Zusammenhang Lizenzgebühren für die Informationen verlangen kann. Beides ist nur schwer mit den Prinzipien der Freien Software vereinbar, die ihrem Wesen nach offen - und somit beschränkungsfeindlich - und lizenzgebührenfrei ist.

Eine Ausnahme verdient ferner besondere Aufmerksamkeit: der 3. Absatz des neuen Artikels L.331-7 sieht vor, dass der Hersteller der "technische Schutzmaßnahmen" demjenigen, dem er zur Auskunft verpflichtet ist, die Veröffentlichung des Quellcodes und der technischen Beschreibung seines (des Auskunftsberechtigten) "unabhängigen und interoperablen" Programms "nur dann" untersagen kann, wenn er beweist, dass durch die Veröffentlichung der "Sicherheit und Effektivität" seiner Massnahme "schwer geschadet" würde. An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob das Verhältnis von Regel und Ausnahme dem Wortlaut des Gesetzes auch in der Praxis folgen wird. Denn zunächst wird jeder Anbieter von technisch geschützten Inhalten behaupten, dass seine Schutzmassnahme durch Veröffentlichung hinfällig würde; tatsächlich ist es möglich, dass, wenn die zur Entschlüsselung erforderlichen Mechanismen öffentlich bekannt sind, der quasi beliebigen Aushebelung einer Schutzvorrichtung Tür und Tor geöffnet sind (so konnte zum Beispiel, nachdem die DVD-Verschlüsselung CSS "geknackt" wurde, dieser Schutz einfach umgangen werden - und somit die DVD auch beliebig kopiert werden). Andererseits sind auch Modelle denkbar, wo die Mechanismen zur Ver- und Entschlüsselung öffentlich sind, ohne dass die Verschlüsselung kompromittiert wäre: So etwa bei PGP, dessen Funktionsweise bekannt ist, und auch in der Open Source Software GPG Anwendung findet. Dort kann nur derjenige Informationen entschlüsseln, an den sie gerichtet sind. Eine solche Lösung liesse sich beispielsweise auf Dateien übertragen, die zum Download angeboten werden; anders ist die Lage freilich bei Datenträgern, die im Handel erhältlich sind und nicht auf einen Nutzer abgestimmt werden können. Zweifellos birgt diese Vorschrift das Risiko, dass die Geheimhaltung der technischen Informationen entgegen dem Wortlaut zur Regel wird. Dieses Risiko genauer abzuschätzen werden erst noch die erwartete Anwendungsverordnung (Décret d'application pris en Conseil d'Etat, Art. L.331-16 CPI) und die Arbeit der Behörde für technische Maßnahmen ermöglichen.

Open Source Software im Besonderen

Das Problem der Veröffentlichung bzw. Veröffentlichbarkeit betrifft unmittelbar die Entwickler Freier Software: Wenn diese Software unter der GPL oder ähnlichen Lizenzen veröffentlichen wollen (oder, bei einer Weiterentwicklung, dazu verpflichtet sind), müssen sie auch den Quellcode veröffentlichen. Wenn nun aber der Hersteller von "technischen Schutzmaßnahmen" die Veröffentlichung des Quellcodes untersagen kann, können Open Source-Entwickler nur
- entweder das Programm entgegen der GPL ohne den Quellcode veröffentlichen und so die Rechte des Urhebers verletzen
- oder den Quellcode trotzdem veröffentlichen - und gegen das Gesetz verstossen, sich damit womöglich sogar aus Artikel L.335-3-1 strafbar machen, der das Anbieten von Mitteln zur Umgehung von technischen Maßnahmen "bestimmter oder speziell angepasster" Programme mit bis zu 6 Monaten Haft und 30 000 € Geldstrafe belegt.
Davon betroffen wäre grundsätzlich jede Open Source Software, die es erlaubt, DRM-geschützte Formate zu lesen - auf der Homepage des VideoLAN-Projekts finden sich einige prominente Beispiele.

Genau diese Zwickmühle war im Gesetzgebungsverfahren von einigen Abgeordneten aufgegriffen worden, die das Gesetz um einen entsprechenden Absatz ergänzen wollten, was in erster Lesung in der Nationalversammlung auch gelang. Dieser Änderungsantrag - dessen Begründung explizit die GPL und als Beispiel Linux nennt - sah vor, dass die Veröffentlichung des Quellcodes und der technischen Beschreibung eines unabhängigen "interoperablen" Programms zu rechtmässigen Zwecken nicht verboten werden könne. Diese Vorschrift, die für die gewünschte Rechtssicherheit gesorgt hätte, wurde vom Senat gestrichen und schliesslich durch die besagte Ausnahme des Art. L.331-7 ersetzt.

Besonders schwerwiegend ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Verfassungsrats vom 27. Juli 2006 (auf Antrag der Abgeordneten der Opposition vom 7. Juli 2006), der einen Rechtfertigungsgrund zugunsten von Handlungen zu "Interoperabilitätszwecken" für verfassungswidrig erklärte. Dieser sei mit dem Bestimmtheitsgebot des Strafrechts nicht vereinbar. Somit darf das Strafgericht nicht unterscheiden zwischen Raubkopierern, die technische Maßnahmen zu ihren rechtswidrigen Zwecken umgehen, und Entwicklern beispielsweise von Open Source-DVD-Playern. Überhaupt war die Anrufung des Hüters der Verfassung aus Sicht der Antragssteller eher kontraproduktiv, wirkte sie sich doch hauptsächlich dahingehend aus, dass bestimmte Ausnahmen zu den neu eingeführten Straftatbeständen kassiert bzw. eingeschränkt wurden; so wurde zum Beispiel klargestellt, dass die Ausnahme zugunsten der "Forschung" nur der kryptographischen Forschung zugute kommt.

Was die - zahlreichen - Gegner als "das schlimmste Urheberrechtsgesetz in Europa" (englische Fassung) bezeichnen, ist also das Ergebnis eines monatelangen Gesetzgebungsverfahrens, das durch widerstreitende Auffassungen der beiden Kammern des Parlaments und eine breite öffentliche Diskussion geprägt war. Die grundsätzlich ablehnende Haltung der meisten interessierten Nutzer entspricht dem Widerstand, der sich auch gegen die Richtlinie selbst und DRM im Allgemeinen richtet. Der französische Gesetzgeber freilich hatte sich an die Vorgaben der Richtlinie zu halten; in diesem Rahmen hat er die Möglichkeiten relativ weitgehend ausgereizt, den "technischen Maßnahmen" derart Schranken zu setzen, dass sie die Nutzbarkeit der Werke nicht völlig einengen. Spannend bleibt, wie in der Praxis der Konflikt um die Interoperabilität gelöst werden wird, insbesondere im Verhältnis zu Open Source Software.