Bundesgerichtshof: Ausweitung der Patentierbarkeit von Software

von: Stefan Labesius

In einer neuen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) seine Rechtsprechung zur Patentfähigkeit von Software präzisiert und im Ergebnis wesentlich erweitert. In seinem Beschluss vom 22. April 2010 (Az. Xa 20/08 – dynamische Dokumentengenerierung) kommt das Gericht nun zum Ergebnis, dass der Einsatz von Software prinzipiell technischen Charakter im Sinne des Patentrechts besitzt und damit schutzfähig ist. Gegenstand des Verfahrens ist die Patentanmeldung DE 102 32 674, die ein technisches Verfahren zur dynamischen Generierung strukturierter Dokumente (z.B. HTML oder XML) zwischen Client  und einem in seinen Ressourcen limitierten Server beschreibt. Das Verfahren ermöglicht eine dynamische Erzeugung strukturierter Dokumente aus Vorlagedokumenten, die in einer Script- oder scriptähnlichen Sprache wie Java Server Pages abgefasst sind, auch auf  Servern, auf denen mangels ausreichender Kapazitäten keine vollständige Scriptsprachen-Laufzeitumgebung installiert werden kann.

 
I. Technischer Charakter von Datenverarbeitungsanlagen
 
Der BGH stellt nun zum Einen ausdrücklich klar, dass das Zusammenarbeiten jeglicher Elemente einer Datenverarbeitungsanlage stets als technisches Verfahren i.S.d. des Patentrechts anzusehen ist. Damit handelt es sich bei einem Einsatz von Software im Rahmen einer Datenverarbeitungsanlage stets um ein technisches Verfahren, unabhängig davon, inwieweit in der Patentanmeldung eine technische Modifizierung der Datenverarbeitungsanlage geltend gemacht wird. Mit der Entscheidung bestätigt der BGH seine Auffassung, dass nicht das Ergebnis einer Gewichtung von technischen und nichttechnischen Elemente über die Patentierbarkeit entscheide. Maßgeblich sei vielmehr, ob die Lehre bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Lösung eines über die Datenverarbeitung hinausgehenden konkreten technischen Problems diene (BGH, Urt. v. 20. Januar 2009, X ZB 22/07 – Steuerungseinrichtung).

Die Vorinstanz der jetzigen Entscheidung hatte dies noch anders bewertet. Das Bundespatentgericht (BPatG, Beschl. v. 17. Januar 2008 - 17 W (pat) 71/04) war der Ansicht, dass es für die Bejahung des technischen Charakters eines Verfahrens  noch nicht ausreiche, wenn eine grundsätzlich technische Problemstellung ohne Aufzeigen einer technischen Modifikation der zur Problemlösung dienenden Mittel (z.B. einer Datenverarbeitungsanlage) genannt werde.
 
II. Schutzfähigkeit von Software

Zum Anderen setzt sich der BGH auch mit der Patentfähigkeit von Software als solcher eingehend auseinander. Gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 PatG ist Software als solche nicht dem Patentschutz zugänglich. Daraus wird bisher in der Rechtsprechung abgeleitet, dass der Einsatz von Software nur dann schutzfähig ist, wenn dadurch ein konkretes technisches Problem mit technischen Mitteln gelöst wird. Dies bekräftigt zwar auch der BGH in seiner aktuellen Entscheidung grundsätzlich. Jedoch senkt das Gericht die Anforderungen daran, wann von einer Problemlösung mit technischen Mitteln auszugehen ist. Das BPatG seinerseits war an dieser Stelle noch davon ausgegangen, dass eine Lösung mit technischen Mitteln erst dann vorläge, wenn Systemkomponenten modifiziert oder in neuartiger Weise adressiert werden. Dem ist der BGH jetzt entgegengetreten. Seiner Auffassung nach reicht es nunmehr aus, wenn der Ablauf von Software, die zur Lösung des Problems eingesetzt wird, durch technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt wird. Dies legt nahe, dass es für die Problemlösung mit technischen Mittel insoweit genügt, wenn jegliche technische Einflüsse von außen den Ablauf der Datenverarbeitungsanlage beeinflussen können.

Darüber hinaus hält der BGH eine Problemlösung mit technischen Mittel durch Software sogar dann für gegeben, wenn die Lösung gerade darin besteht, Software so auszugestalten, dass sie auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt. Das streitgegenständliche Verfahren – so der BGH – löse daher ein technisches Problem, weil es eine bessere Ausnutzung begrenzter Serverressourcen bei der dynamischen Generierung strukturierter Dokumente ermögliche und damit die Funktionalität eines Kommunikationssystems betreffe.

Dies bedeutet aber auch, dass schon eine Anpassung von Software an eine veränderte Hardwareumgebung als Problemlösung mit technischen Mittel im Sinne des Patentrechts eingestuft werden kann. Somit könnte beispielsweise eine Modifizierung zur Fehlerbehebung i.S.d. § 69 d Abs. 1 UrhG gleichzeitig eine Problemlösung mit technischen Mitteln durch Software darstellen, soweit sie neu und erfinderisch ist. Inwieweit  genau bei der Ausgestaltung von Software die Grenze zu ziehen ist, wann diese auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt und wann nicht, lässt der Xa. Senat jedoch offen.

Im Ergebnis liegt der BGH damit auch auf der Linie des Europäischen Patentamtes (EPA). Nur einige Tage vor der Veröffentlichung der aktuellen BGH-Entscheidung hat auch die Große Beschwerdekammer des EPA ebenfalls einen erweiterten Patentschutz für Software bejaht (Beschluss vom 12. Mai 2010 - G 0003/08). Danach bleiben computerimplementierte Erfindungen patentschutzfähig, wenn sie als Ganzes technischen Charakter aufweisen. Entscheidend sei hierfür lediglich, dass sich die im Patentanspruch definierte Erfindung eines technischen Mittels bediene.

 
III. Auswirkungen

Unklar ist im Moment, welche Auswirkungen die Entscheidung des BGH auf den Einsatz von Software haben wird. So wird nicht nur Software in ihrer konkreten Umsetzung durch das Urheberrecht geschützt. Die Benutzung von Software kann von einem Inhaber eines Patents, dass zur Problemlösung Software einsetzt, verboten werden, wenn die benutzte Software das gleiche Problem mit gleichen oder äquivalenten Mitteln löst. Die von § 69 a Abs. 2 UrhG ausdrücklich vom Urheberschutz ausgenommenen Gegenstände, wie der Software oder Schnittstellen zu Grunde liegende Regeln oder Grundsätze, können somit grundsätzlich von einem Patentanspruch umfasst sein. Der BGH ist nämlich der Auffassung, dass das streitgegenständliche  Verfahren gerade deshalb der Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln diene, weil es sich als grundsätzliches Konzept für die Generierung dynamischer Dokumente nicht an den Programmierer, sondern an den Systemdesigner richte, der die Gesamtarchitektur des Datenverarbeitungssystems im Blick habe und die unterschiedlichen Eigenschaften sowie die Leistungsfähigkeit von Hard- und Softwarekomponenten berücksichtige.

Auch fehlt es den patentrechtlichen Schranken beispielsweise an einer § 69 d, e UrhG entsprechenden Regelung. Danach darf Software ohne Zustimmung des jeweiligen Rechteinhabers dekompiliert, zum Zwecke der Sicherung vervielfältigt und zur Fehlerbehebung modifiziert werden. Eine entsprechende Begrenzung des Patentschutzes ist dementsprechend für das Gemeinschaftspatent schon vorgeschlagen worden. So sah der Entwurf der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft unter Art. 9 lit. i vor, dass für das Gemeinschaftspatent auch die genannten softwarespezifischen Schrankenregelungen gelten sollen.

Im Zusammenhang mit Open-Source-Software dürften im Übrigen Lizenzklauseln zur Abwehr von Patentansprüchen in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen. Darin ist der Verzicht auf gerichtliche Anspruchsdurchsetzung bei zur Softwareimplementierung notwendigen Patentansprüchen verankert, der bei Zuwiderhandlung in der Regel eine Lizenzverletzung und damit den Wegfall der Lizenz bedeutet (z.B. Eclipse Public License, Open Web Foundation Agreement).