von Prof. Dr. Axel Metzger
Die Europäische Kommission hat am 24.05.2011 eine umfassende Strategie für die Rechte des geistigen Eigentums vorgestellt. Die Initiative hat den Rahmen für die Vorstellung des lange erwarteten Vorschlags für eine Richtlinie über verwaiste Werke geboten. Die Kommission hat die Gelegenheit zudem genutzt, die gegenwärtigen Reformvorhaben zu sammeln und in den Kontext ihrer Gesamtstrategie zu stellen. Schließlich kündigt die Kommission die Überarbeitung einer Reihe von Richtlinien und Verordnungen an und formuliert die Forderung nach einem optionalen "European Copyright Code" als mittelfristiges Ziel.
Nimmt man die für das Urheberrecht konkret vorgestellten Maßnahmen in Blick, so ist das Strategiepapier enttäuschend. Die großen Zukunftsfragen des Urheberrechts insbesondere im Hinblick auf das Internet werden einmal mehr nicht beantwortet. Dass das Urheberrecht zusehends an Akzeptanz verliert, weil die Regelungen vielfach einseitig auf die Interessen der Rechtsinhaber ausgerichtet sind, wird als Problem nicht benannt, von neuen und kreativen Antworten auf die Herausforderungen ganz zu schweigen. Stattdessen konzentriert man sich auf Nebenschauplätze, etwa das Thema der verwaisten Werke.
Der Richtlinievorschlag zu verwaisten Werken schlägt eine neue Urheberrechtsschranke vor. Privilegiert werden gem. Art. 1 "öffentlich zugängliche Bibliotheken, Bildungseinrichtungen oder Museen sowie Archive, im Bereich des Filmerbes tätige Institute und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten." Sofern diese verwaiste Werke zu kulturellen und bildungspolitischen Zwecken öffentlich zugänglich machen oder vervielfältigen, ist keine Vergütung geschuldet, auch wenn der Rechtsinhaber später doch noch gefunden wird (Art. 6). Nur wenn andere Zwecke mit der Nutzung verfolgt werden, muss später eine Vergütung gezahlt werden (Art. 7). Jede Nutzung als verwaistes Werk setzt allerdings eine "sorgfältige Suche" nach dem Rechtsinhaber nach Maßgabe von Art. 3 voraus. Das Anliegen der Richtlinie, das kulturelle Erbe verfügbar zu halten, ist rundherum zu begrüßen. Liest man den Richtlinienvorschlag wie hier vorgeschlagen als Urheberrechtsschranke, so wäre der abschließend gedachte Schrankenkatalog in Art. 5 der Infosoc-Richtlinie 2001/29 zum ersten Mal erweitert worden. Man würde sich wünschen, die Kommission hätte den Mut gefunden, gleich noch weitere offene Fragen bei den Schranken zu klären. Fragen kann man sich zudem, ob die Begrenzung auf öffentliche Institutionen erforderlich ist oder ob nicht auch der private Sektor einbezogen werden sollte.
Auch von Bedeutung für das Urheberrecht sind die übergreifenden Instrumente zur Rechtsdurchsetzung. Die Kommission kündigt hier eine Überarbeitung der Richtlinie 2004/48 an, insbesondere mit Blick auf Rechtsverletzungen im Internet. Überarbeitet wird gegenwärtig auch die Grenzbeschlagnahme-Verordnung 1383/2003. Neu bewertet werden soll zudem die Rolle von Internet Service Providern hinsichtlich der Verletzungen durch ihre Nutzer, wobei die Haftungsprivilegien aus der E-Commerce-Richtlinie 2000/31 nicht angetastet werden sollen. Hält die Kommission ihren Zeitplan ein, so dürften es in den nächsten Jahre einige Bewegung im europäischen Urheberrecht geben. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen zu den großen Fragen des Urheberrechts aber nur diese unbestimmten Ankündigungen vor.