Von Dr. Axel Metzger
Betrachtet man die von der Europäischen Gemeinschaft zuletzt verabschiedeten Richtlinien und Richtlinienvorschläge, so ist insgesamt eine Tendenz der Expansion der geistigen Eigentumsrechte festzustellen. Dagegen wenden sich gemeinhin nur die Verbraucherschützer sowie die Vertreter einer freien Informationsgesellschaft - mit bislang geringem Erfolg. Es scheint, dass die Kritiker nunmehr einen gewichtigen Verbündeten gewonnen haben: den neuen Direktor des viel gescholtenen Münchner Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum und Steuerrecht in München, Prof. Dr. Reto Hilty.
Hintergrund:
Der Grund für die stete Expansion des geistigen Eigentums in Europa ist, dass sich die an einem starken Investitionsschutz interessierten Industrien, oder besser deren Lobby, in Brüssel stärker Gehör verschaffen können als die Interessenvertreter der Wettbewerber sowie der Verbraucher. Jede Ausweitung des geistigen Eigentums bedeutet zugleich denknotwendig eine Beschneidung des Wettbewerbs für die betroffenen Güter. Gleiches gilt für die Freiheiten der Verbraucher im Umgang mit den urheberrechtlich geschützten Werken, patentrechtlich geschützten Erfindungen etc. Diese Tendenz zieht sich wie ein roter Faden durch die Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft, um deren Umsetzung nach wie vor gerungen wird, den Vorschlag für eine Richtlinie zur Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen, über den in dieser Woche im Europäischen Parlament abgestimmt werden soll, sowie den Vorschlag für eine Richtlinie zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte, über den der EP-Ausschuss für Recht und Binnenmarkt am Mittwoch nächster Woche (1.10.2003) beraten wird, vgl. hierzu mein Interview auf Golem.
Es scheint, dass die Kritiker dieser Politik künftig verstärkte Unterstützung aus dem Münchener Institut erhalten werden. Prof. Hiltys Grundsatzreferat auf der 29. Tagung der Gesellschaft für Rechtsvergleichung in Dresden ließ jedenfalls aufhorchen. Die innovationsfördernde Wirkung zahlreicher Auswüchse der geistigen Eigentumsrechte sei ökonomisch zweifelhaft und gehöre auf den Prüfstand. Im Bereich der Softwarepatente hätten US-Studien erwiesen, dass jedenfalls keine positiven Wirkungen zu erwarten seien. Die Wettbewerbsbeschränkungen seien dagegen sicher, die von der Kommission vorgeschlagene Richtlinie nicht wünschenswert. Gerade für Entwicklungsländer sei die Einführung eines gewerblichen Rechtsschutzes europäisch-amerikanischer Prägung nicht empfehlenswert. Man betrachte etwa das Beispiel Indiens, welches mit einer sehr kurzen Schutzfrist für Patent in den letzten Jahrzehnten außerordentlich gut gefahren sei. Die Reaktionen des akademischen Establishments auf dem Panel und im Publikum ließen erkennen, dass solche Positionen dort nach wie vor nicht wohlgelitten sind. Als umso wichtiger erscheint das Echo der IP-kritischen Interessengruppen, welche die Bedeutung dieses Gezeitenwechsels an der wichtigsten europäischen Forschungsinstitution im Bereich des geistigen Eigentums aufmerksam verfolgen sollten.